Yoga und Schönheit - Sind wir alle blind?
von Anjali Sriram in Philosophie

Wie können wir wahre Schönheit erreichen? Besonders Frauen versuchen durch Yoga ein mitunter abstruses Schönheitsideal zu erreichen. Hier läuft scheinbar etwas falsch. Dies ist ein Plädoyer von Anjali Sriram an Männer und Frauen: Werdet euch wieder der wahren Bedeutung von Schönheit im yogischen Sinne bewusst.

Schönheit im Sinne von Yoga hat sehr wenig mit dem zu tun, was viele Frauen im modernen Yoga unter Schönheit verstehen. Wirkliche Schönheit ist vielmehr eine innere Geisteshaltung, die äußere Schönheit hervorbringt.

Das sagt auch Anjali Sriram, Buchautorin, Tänzerin und Künstlerin zwischen der indischen und europäischen Welt.

Ihr Credo lautet: "Wo Religionen und Kulturen sich feindlich gegenüber stehen, 
möchte mein Schaffen die Brücke sein, die sie verbindet,  ohne ihnen ihre Tiefe zu nehmen."

Wie können wir Yoga und Schönheit neu zusammenbringen? 

Natürlich kannst du durch regelmäßiges Praktizieren von Yoga auch deinen Körper “verschönern”. Aber gerade durch diese Zielsetzung haben wir Frauen etwas Wichtiges verloren: Unsere wahre Stärke und unsere Emanzipation. Kennst du Sringara? Nein? Dann wirst du etwas weiter unten mehr über das Gefühl sinnlicher Liebe erfahren. Denn dazu dient die Schönheit ja auch, oder etwa nicht? Bevor ich dir jetzt gerne erkläre, was (wahre) Schönheit im Yoga ist und warum wir oft verleitet sind, auf das falsche Pferd setzen, möchte ich dir kurz meine Geschichte erzählen: 

Yoga kam in mein Leben als ich 18 Jahre alt war und das ist jetzt 50 Jahre her. Damals, als junge Tänzerin in London Ende der wilden Sechziger Jahre fantasierte ich, das das Bewegen und Innehalten in Asanas mystische Inhalte offenbaren könnten, die beflügeln. Ein intellektuell nicht fassbares Geheimnis würde durch das Üben solcher Asanas Kräfte freisetzen.

Später, bei meinen intensiven Studien in Indien, interpretierte ich aus den alten Texten, dass Asanas zu üben, mir siddhis schenken würde. Siddhis sind im Hinduismus und im Buddhismus übernatürliche Kräfte, die man laut der Überlieferung in alten Schriften durch spirituelle Praxis erlangt. Also Fliegen, über Wasser gehen, die Zukunft vorhersehen können, und ähnliches.

Allerdings erreichen nur wenige Auserwählte diese Fähigkeiten und außerdem braucht es dazu einen fähigen Guru, der dieses Wissen in die Gegenwart übersetzen kann. Aber was beispielsweise bedeutet „über Wasser gehen“ und wie entschlüsseln wir die Bildsprache eines anderen Jahrtausend?

Heute genügt mir schon das Bewusstsein, was durch Yoga-Üben möglich werden kann und gibt mir Hoffnung in schwierigen Situationen. In unserer technokratischen Welt, in der Maschinen uns das laufen, arbeiten, ja selbst das fantasieren und denken abnehmen, ist jede körperliche Bewegung schon förderlich. Auch ohne dabei nach mystischen Inhalten zu fragen.

90 % der Yoga Praktizierenden sind Frauen

Yoga gibt es in unzähligen Formen und Ausrichtungen, und allein in Deutschland haben 11,3 Millionen Menschen praktische Yoga Erfahrung. Und natürlicherweise gibt es deshalb überall Yogakurse und entsprechend Yogalehrerausbildungen.

Das interessante daran ist, dass neun von zehn Menschen, die Yoga praktizieren Frauen sind. Auch Yogastudios sind oftmals in weiblicher Hand. Ich frage mich: Was ist das Phänomen dahinter? Achten Frauen mehr auf ihre Gesundheit und ihr Erscheinungsbild, sowie ihr Wohlergehen, als die Männer? Brauchen sie Hoffnung und Entspannung mehr denn je? Wieviel Frauen machen dort Yoga, um einen gesellschaftlich aufgedrückten Schönheits-Stempel zu erhalten?

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Was hält Männer vom Yoga fern?

Männer besitzen 90 bis 95 % des Bodens dieser Erde. Sie sind wesentlich öfters große Spezialisten, in Direktoren- oder Vorstandsposten, als Frauen. Der berufliche und materielle Erfolg gibt ihnen Macht, Zufriedenheit und verleiht ihnen das euphorische Gefühl vollkommener Potenz. Von dieser Aura werden Frauen auch noch angezogen. Also warum sollten Männer noch bei Yoga nach weiteren Inhalten suchen? Frauen hingegen sind nicht aufgrund ihrer mächtigen Ausstrahlung begehrenswert, sondern Männer suchen bei ihnen Schönheit, Harmonie und Wohlgefühl.

Und genau das verspricht Yoga.

Frauen und der vermeintliche Traum von Schönheit

Was nicht sofort zu erkennen und dennoch das Wesentliche ist: Yoga öffnet das geistige Auge, sowie auch die beiden sehenden Augen für Schönheit. Aber wie definieren wir diese eigentlich? Die Schönheit wurde mittlerweile von der Werbung für Produkte völlig vereinnahmt.

Überreizt von der Schönheit der Werbung suchen Frauen, die zum Yoga gehen daher eigentlich eher ein Entkommen dieser allseits aufdringlichen Präsentation von Schönheit durch die Werbung. Und doch sind sie leider nicht frei von ihr. In Lifestyle Magazinen wird Yoga-Kleidung, Yoga-Kissen und Yoga-Krimskrams angeboten, die von der Schönheit, die Yoga unter dem Begriff sringara anstrebt, komplett ablenkt.

Sringara offenbart wahre Schönheit

Anziehung entsteht durch Schönheit. Liebe, also "sringara" wird dadurch geboren und setzt erotische Gedanken frei. (Aus dem Sanskrit kann es als romantische Liebe oder als Anziehungskraft oder Schönheit übersetzt werden.) Eine Vollmondnacht stärkt sringara, unser erotisches Verlangen oder der Duft der Blüten erweckt die Sinne und damit sringara.

Sringara ist aber auch als ein Zustand geistiger Schönheit zu verstehen, der über das Profane erhebt. Diesen beseelten yogischen Ausdruck verkörpern oft die Ikonen indischer Gottheiten, die zu gleichen Anteilen männlich und weiblich sind. Sie drücken nicht jenes verklärende Verlangen religiöser Heiligen aus, sondern eher Erfüllung im Hier und Jetzt.

Die Schönheit des sringara als Vision, oftmals hocherotisch dargestellt, steht in Indien über den gesamten alltäglichen Dingen. Dazu steht mitten im Schlamm der Lotos unberührt und erzeugt die Stimmung von sringara auf den, der diese Gegensätze von Reinheit und Schmutz zusammenbringen kann.

Nimmt er den Lotos ohne den erdigen See, in dem er steht wahr, ist das Bild unvollkommen und erzeugt keine sringara, denn es ist laut der Philosophie immer die Anziehung und das Bewusstsein um die Gegensätze, die sringara hervorruft. Es bündelt die zerstreuten Sinne, um die Ganzheit anzustreben.

Männer haben derzeit den Bebauungsplan der Erde, sowie die Kriege und die Waffenproduktionen in ihrer Hand und Frauen sind nur in untergeordneten Funktionen daran beteiligt. Männer begreifen damit ihre Entscheidungsgewalt als etwas Vollkommenes, dem die Frau lediglich zustimmen darf.

Sringara sehen sie als Schwelgen in Schönheit und eher als eine weibliche Eigenschaft an. Das ist eine fatale Interpretation der Weiblichkeit und Ganzheit. Frauen sind irgendwie die Verlierer in dieser patriarchalischen Ordnung.

Schönheit im yogischen Sinne

Blicken wir zurück in die Geschichte: In Indien gab es Yogis und Yoginis. Ihre Seelen streben die Verschmelzung mit dem Ewigen an, und die Angst vor dem Sterben wich. Sie definierten sich als gleichberechtigte Menschen, jedoch ausgestattet mit jeweils weiblichen oder männlichen Sexualorganen.

Yogis waren sich bewusst, dass durch ihre Gegensätzlichkeit Anziehung entsteht. Blicken wir auf sie als ideale Wesen, die im Zustand von sringara die Anziehung der Gegensätze kultivierten und die Sinne auf den Kern der Schönheit lenken konnten. Wobei sie sich auf die Vereinigung von Himmel und Erde oder Endlichkeit und Unendlichkeit konzentrierten und nicht auf das individuelle Gegenüber. Dies gab den Yogis die Möglichkeit das Bewusstsein zu transzendieren.

Brahmacharya (eines der fünf Yamas auf dem achtgliedrigen Pfad von Patañjali) bedeutet nicht nur Zölibat, sondern die Realisation: Denn alles ist Schöpfung (Brahma) und dazu gehört auch die Sexualität! In der yogischen Spiritualität sehe ich Hoffnung, beide Geschlechter in Frieden miteinander zu bringen: Gibt sich der Yogi der Weiblichkeit, als der Erde dienend hin, wird die Yogini zum Symbol der Erde (zur höchsten Kraft im Universum). Damit gewinnt er eine andere Achtung vor der Umwelt. Und die Yogini erschließt sich die geistige Vielfalt des Mannes, er wird zum Symbol des Himmels bei ihrer Zusammenkunft. Damit erweiterte sie ihre Fähigkeit abstrakt denken zu können.

Im Yoga, wie es heute im Westen (und im verwestlichen Osten) praktiziert wird, realisieren Menschen größtenteils leider nur noch ein geringes Ausmaß von dem, was in Yoga enthalten ist.

Wie entsteht Sringara?

Wer das Geschenk wahrer Schönheit erkennen will, den mag ich einladen, sich mit dem Studium der philosophischen Texte zu beschäftigen. Denn die Visualisierung dieser Inhalte während Pranayama, während den Asanahaltungen und in der Meditation bringt dir wirkliches sringara im Yoga.

Wenn ein Blatt im Wind sich tanzend löst, am Boden liegen bleibt und zerfällt, wird es Humus. Die Vergänglichkeit aller lebendigen Schönheit zu genießen, dabei bewusst die Gegensätze von Leben und Tod aufnehmen, erzeugt auch die Stimmung von sringara. Nachdem ein lebender Mikroorganismus verfallen ist, wird er Humus und bringt neues Leben hervor. Einheit wird so begreifbar.

Ein Roboter, oder ein Foto im elektronisch gesteuerten Netz, kann kein sringara auslösen. Denn verfällt eine Maschine, entsteht aus ihr kein neues Leben, sondern im schlimmsten Fall nicht kompostierbarer Elektro-Schrott. Bringen Menschen sringara in ihr Leben, kann es eine kraftvolle Gegenposition zum (vermännlichten) Streben nach materieller Überlegenheit werden. Schönheit ist eben nicht die Betonung auf das Körperbewusstsein:

Wie sehe ich aus? Wie wirke ich auf den Mann oder auf die Frau? Oder gar, wie wirke ich im Netz mit tollen Klamotten in den perfekten Posen?

Sondern es geht darum:

Wie realisiere ich jenes sringara, jene Visualisierung beim Üben der Yoga Posen, der Meditation oder dem Pranayama, die inneres Leuchten ohne Make-up hervorbringen kann? Wahre Schönheit entsteht durch das Bewusstsein um die Anziehung, die Gegensätze aufeinander ausüben (von innen) Das erzeugt einen Gang, der beschwingt und eine energetische Ausstrahlung der Zuversicht das alles zum Ganzen strebt. Wahre Schönheit schenkt dir eine natürliche Anmut, freie unbelastete Atmung und dazu ein nach innen gerichtetes Lächeln.

Besonders Anmut wird heutzutage wenig angestrebt, scheint es doch ein sehr verstaubter Begriff von Schönheit zu sein. Aber ich (und auch die alten Yogis) sehen in dem Begriff Anmut alles verdeutlicht, was uns das Yoga an Schönheit lehren kann. Wenn wir uns wieder mehr auf diese yogische Schönheit konzentrieren und dem Konsumwahn mit einem weisen Lächeln die kalte Schulter zeigen, dann werden wir Frauen erst wirklich in unsere Kraft kommen.

Dann sind Frauen nicht nur wahrlich emanzipiert und frei, sondern werden als die neuen Anführerinnen auftreten. Sie werden durch ihr yogisches Wirken die Welt verändern und zu mehr Frieden führen können. All das können Frauen in Yoga finden.

Männer, die ihr dem Yoga fernbleibt, ihr wisst noch nicht, dass ihr die Entwicklung zu einer anderen Weltsicht verpassen könntet!

Anjali

P.S. Wenn du gerne einmal Frauen sehen möchtest, die Sringara ausstrahlen, dann schau dir gerne den 10 Minuten Trailer zu dem indischen Dokumentationsfilm über den indischen Tanz "The Nine Movements Of The Eyelid" an, in dem ich auch mit ein wenig mitgewirkt habe. 

Ab Herbst im Handel:

"Als wir die Welt retteten", ein transkultureller Liebesroman verwoben mit dem Epos Ramayana, und angesiedelt in der Welt von Yogameistern, Kolonialismus, Indianern und der Umwelt.

 

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Anjali Sriram

Sie hat an der Khalakshetra-Tanzakademie in Chennai Indischen Tanz studiert und ist in Indien, in den USA, Japan und Europa als Tänzerin aufgetreten. Sie unterrichtet Indischen Tanz und praktiziert auch seit vielen Jahren Yoga. Sie ist Autorin von mehreren Büchern und ist mit dem Yoga-Gelehrten Sriram verheiratet. Im Herbst wird ihr neues Buch erscheinen. 

Ihre spannende Website findest du hier.

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