Andy Holzer: Blick für das Wesentliche
von Katharina Wallner (Gastautorin) in Inspiration

Andy Holzer ist Ausnahmebergsteiger und stand auf den höchsten Bergen der Erde. Andy Holzer ist blind. Was wir Yoginis und Yogis von einem blinden Bergsteiger lernen können. Ein Interview.

Wenn Du von Andy Holzer noch nie etwas gehört hast, dann gibt Dir dieser kurze Film einen guten Einblick in sein Leben:

 

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Interview mit Andy Holzer

Du möchtest den Sehenden die Augen öffnen, steht auf Deiner Homepage. Was genau meinst Du damit?

Darin steckt eine Aufforderung zum Perspektivenwechsel. Wir müssen ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass unwahrscheinlich viele Ressourcen in uns allen brachliegen. Wenn wir eine Sache aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten, werden wir erkennen, dass alles im Leben einen Sinn ergibt. Sehen wir doch im Problem die Chance. Denn natürlich ist blind zu sein, eine Einschränkung. Aber wenn ich sehen könnte, würden wir dieses Gespräch nicht führen.

In unserem Wortgebrauch finden sich unglaubliche viele Formulierungen, die mit dem Sehen und den Augen zu tun haben. Auch Du sprichst davon ein Ziel vor Augen zu haben, den Blickwinkel zu verändern, von Betrachtungsweisen und reiner Ansichtssache. Denkst Du, dass wir dem Sehen und Gesehenwerden zu viel Bedeutung beimessen?

Mit nur fünf Sinnen sind wir eigentlich recht beschränkt in unserer Wahrnehmung. Wenn wir zudem noch einzelne Sinne verkümmern lassen, werden wir zukünftig immer weniger und nur noch das Unwesentliche erfassen können. Manche Erfindungen des modernen Zeitalters fördern die Einschränkung unserer Sinne. Auf einem Touchscreen beispielsweise kommen wir mit nur einem Sinn aus. Unsere Finger rutschen orientierungslos über eine Glasscheibe und können dabei taktil nichts mehr erfassen. Sehr vieles spielt sich auf der visuellen Ebene ab, obwohl unser Tastsinn wesentlich präziser ausgeprägt wäre. Die Beschränkung auf nur wenige Sinneswahrnehmungen und der zunehmende Fokus auf Äußerlichkeiten sind eine kulturelle Entwicklung der westlichen Hemisphäre. Menschen, die ich bei meinen Expeditionen in Papua-Neuguinea kennenlernen durfte oder die ostafrikanische Volksgruppe der Massai, sind viel gleichmäßiger auf alle Sinneseindrücke geschärft. Dort ist es auch nichts Besonderes, wenn ein Blinder in die Berge geht.

Du bist bereits auf sechs der höchsten Gipfel der sieben Kontinente gestanden. Nur der höchste Berg der Erde, der Mount Everest, fehlt Dir noch, um auf allen „seven summits“* unendliche Weite gefühlt zu haben. Was motiviert Dich zu diesen Gipfelstürmen?

Als kleiner Bub habe ich begonnen in die Berge zu gehen, weil ich begreifen wollte, was meine Freunde sehen. Um einen Berg als Bild wahrnehmen zu können, muss ich ihn angreifen – am besten von allen Seiten. So entstehen Bilder in meinem Kopf. Meine Hände sind meine Augen und je steiler ein Gelände wird, umso aufrechter kann ich mich fortbewegen. In den Bergen bin ich in meinem Element. In der Stadt hingegen bin ich auf die Hilfe anderer angewiesen, denn im Gewirr von Stimmen und Autolärm kann ich mich nicht gut orientieren. * Die jeweils höchsten Berge der sieben Kontinente

Im Film „Der blinde Mann und der Berg“ triffst Du eine Aussage über einen Zustand, den viele Menschen anstreben – die Unabhängigkeit. Du sagst, dass Unabhängigkeit der größte Schwachsinn ist, den unsere Gesellschaft erfunden hat. Ist sie nicht erstrebenswert?

Niemand auf dieser Erde ist nur eine Sekunde gänzlich unabhängig. Das ist alles eine Täuschung. Jeder ist abhängig. Auch in der Natur bedingen sich die Dinge und sind aufeinander angewiesen. Der Grashalm wartet auf den Wassertropfen und die Regenwolke entsteht nur, wenn das Wasser an der Meeresoberfläche von der Sonne erwärmt wird, verdunstet und auf die Erde niederfällt. Dennoch verstehe ich das menschliche Streben nach Unabhängigkeit. Für mich würde sie aber Einsamkeit bedeuten. Natürlich möchte ich nicht von jemandem x-Beliebigen abhängig sein müssen. Doch solange ich frei entscheiden kann, von wem ich es bin, ist Abhängigkeit durchaus etwas sehr Schönes.

Ob in steiler Wand, zu ebener Erde oder auch im übertragenen Sinn, überall werden uns Steine in den Weg gelegt - von anderen, von äußeren Umständen oder gar von uns selbst. Wie können wir mit diesen Stolpersteinen umgehen und unsere eigenen Grenzen am besten überwinden?

Immer, wenn das Leben ein Hindernis für Dich bereit hält, hast Du die Wahl. Entweder Du überwindest es oder Du weichst aus. Wer beim ersten Mal ausweicht, hat das Ausweichen geübt. Beim zweiten Mal wird man dies dann vermutlich wieder tun. Dann wird es sogar noch leichter gehen, schließlich wurde es gelernt und ganz gut geschafft. Einem Hindernis auszuweichen oder etwa ein Lügennetz zu spinnen, scheint manchmal der einfachere Weg zu sein. Doch nach und nach wird das Aufrechterhalten des selbst erbauten Konstruktes immer anstrengender und die Illusion fällt in sich zusammen. Ob wir den geraden Weg gehen, auch wenn er sprichwörtlich drunter und drüber geht, hängt sicher auch davon ab, wer uns am Anfang unseres Lebens geführt hat. Wenn Eltern uns gelernt haben, Schwierigkeiten besser auszuweichen, sind wir in diese Richtung geprägt. Doch selbst wenn das so ist, irgendwann sollten wir unser Leben selbst in die Hand nehmen und mutig die erste Hürde nehmen. Natürlich ist es brutal anstrengend über Hindernisse zu steigen, doch wenn das Training erstmal absolviert ist, macht es richtig Spaß. Über sich hinauszuwachsen steigert das Selbstbewusstsein und zudem fällt der Ballast mühseliger Ausweichmanöver von uns ab. Alleine dadurch wird eine unglaubliche Energie freigesetzt. Mir macht diese Extraportion Lebensmut Lust auf die nächste Herausforderung. Wer sich auf diesen Weg einlässt, wird erkennen, dass er schlussendlich der einfachere ist.

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Welche ist für Dich die wichtigste Frage im Leben?

Das ist für mich die Frage, die ich mir sicher am letzten Tag meines Daseins stellen würde. Mir geht es bei solchen Überlegungen immer um diesen letzten Tag meines Lebens…und der kann heute sein. Somit ist der Moment, der jetzt gerade ist, immer der Wichtigste. Ich würde mich fragen, ob ich mit meiner Wirkung auf die Menschen das Maximale rausgeholt und das Beste aus meinem Leben gemacht habe. Eines möchte ich gewiss nie sagen: „Wenn ich das gewusst hätte, ja dann…“ Am schlimmsten wäre es für mich, um verlorene Chancen trauern zu müssen. Menschen, die immer sagen „Wenn ich das gewusst hätte…“, leben konsequent an der Einzigartigkeit des einzelnen Moments unseres Seins vorbei. Sich damit zu trösten, dass wir morgen wieder die gleiche Gelegenheit bekommen, ist schlichtweg ein Selbstbetrug und führt uns ganz weit weg vom Hier und Jetzt. Es gibt keine identen Situationen im Leben. Keine Sekunde wiederholt sich in der gleichen Weise. Jede Situation ist eine Einzelausgabe des ganzen Universums und doch ist irgendetwas immer anders. Nie wird die Sonne genau an dieser Stelle stehen, wenn exakt dieser Duft in der Luft liegt und wir dieses Gespräch führen…

…dieses wunderbare Gespräch. Herzlichen Dank!!

Balanceakt - das Buch von Andreas Holzer

Du möchtest gerne mehr über Andreas Holzer und sein Leben als Ausnahmebergsteiger erfahren? Dann legen wir Dir sein Buch Balanceakt - erschienen im Patmos Verlag ans Herz. Mehr über Andreas natürlich auch auf seiner Website: Andreas Holzer

Artikel-Foto von Andreas Scharnagl

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Katharina Wallner (Gastautorin)

Katharina Wallner ist Hebamme, Pädagogin und freie Journalistin. Ihre Freizeit verbringt sie am liebsten auf der Yogamatte oder bewegt in der Natur. - "Kinder und Ideen werden geboren…und schreiben Geschichte."
Mehr über Katharina: Hebamme-Wallner

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