Plädoyer für mehr Qualität in unseren Gesprächen
von Philipp (Redaktion) in Inspiration

Diese Artikel ist für alle, die das Gezänk auf Social Media satt haben. Und er ist ein Plädoyer für mehr Qualität in unseren Gesprächen und unseren Beziehungen.

Corona hat uns alle in eine Ausnahmesituation gebracht. Schock, Trauer, Verzweiflung, Freude, Hoffnung – die gesamte Palette menschlicher Emotionen fegt durch unsere Gesellschaft. Jeder von uns hat davon etwas abbekommen. Bemerkenswert jedoch: wir alle haben den Corona-Sturm unterschiedlich erlebt.

Inzwischen scheint sich das Leben wieder etwas normalisiert zu haben. Wir sind wohl noch immer ein bisschen benommen, als würden wir gerade aus einem schlechten Traum aufwachen, aber so langsam blicken wir wieder nach vorn und das ist gut so.

Doch bevor wir jetzt alle wieder los rennen, möchte ich nochmal zurück blicken und fragen, was da eigentlich passiert ist? Und was davon wollen wir in die Zukunft mitnehmen?

In den Anfangs-Tagen der Corona-Krise erlebten wir große Solidarität. Wir gingen zwar auf Abstand, rückten emotional aber doch zusammen. Familien sprachen über Videotelefonie so viel miteinander, wie Jahre zuvor nicht. Freundeskreise ließen in Zoom-Calls die Korken knallen und Yogis meditierten online miteinander. Wir bleiben zuhause und treffen uns auf Social Media Kanälen - gemeinsam gegen das Virus. Wow, dachte ich, wozu wir Menschen doch fähig sind, wenn man uns ein bisschen Feuer unter'm Hintern macht. Solidarität ist eine wirklich großartige Eigenschaft des Menschen. Sie ist der Triumph des Geistes über die niederen Instinkte.

Irgendwann aber, so circa Anfang Mai, da kippte die Stimmung. Auf Social Media häuften sich die Postings über angebliche Versuche, die Meinungsfreiheit abzuschaffen, der Bill Gates will uns alle chippen, die Alten sterben ja sowieso bald, Bilder von wütenden Menschen auf der Straße und immer wieder der unsägliche Vergleich der heutigen Maßnahmen zur Eindämmung des Virus mit dem NS-Regime. Fakten schienen plötzlich nicht mehr wichtig zu sein, Einzelmeinungen wurden zur letzten Wahrheit und plötzlich kämpften die "Corona-Verharmloser" gegen die "Maßnahmen-Befürworter".

Gruselig! Ein ganz anderes Bild der Menschen tauchte da plötzlich auf dem Bildschirm auf.

Ich möchte mit diesem Text nicht zu den einzelnen Punkten Stellung nehmen. Manche sind so absurd, dass sie sich selbst einordnen. Andere empfinde ich als alternative Denkansätze durchaus interessant.

Aber um das „Was“, das „Richtig“ oder „Falsch“, darum geht es mir hier nicht - zumal ich das ja gar nicht kenne. Auch finde ich es überhaupt kein Problem, wenn wir Menschen streiten. Ja, ein ordentlicher Streit mit anschließender Versöhnung reinigt das Gemüt und ist ein Zeichen für eine gesunde Beziehung. Doch damit wir „ordentlich“ streiten können, bedarf es einer fairen Gesprächskultur. Um die geht es mir hier. Boxer dürfen auch nicht ohne Handschuhe in den Ring steigen. Genau so sollten wir auch nicht ohne Regeln in den Ring der Argumente steigen.

Vergessen wir nicht: Eine miese Gesprächskultur erstickt konstruktiven Dialog. Sie spaltet uns Menschen in zwei Lager, treibt uns auseinander und sät Misstrauen. Und als ob das nicht genug wäre, verleitet sie uns manchmal falsche Schlüsse zu ziehen und folglich falsche Entscheidungen zu treffen. Dann nämlich, wenn wir aus lauter Rechthaberei die Argumente des Anderen nicht mehr hören. In Zeiten von Social Media, gilt das ganz besonders. Wenn wir hier nicht auf eine faire Gesprächskultur achten, dann werden Facebook & Co zum Pulverfass. Bleiben wir jedoch fair miteinander, kann Social Media uns Menschen näher bringen und die Demokratie stärken. Es geht mir also an erster Stelle darum, wie wir miteinander diskutieren, und erst an zweiter darum, wer, welche Meinung vertritt.

Und damit sind wir wieder mitten im Yoga: Yoga will dir niemals sagen, was du denken sollst, lass dir das von keinem Guru einreden. Yoga will immer nur eine Anleitung sein, wie du mit deinem Geist auch umgehen kannst, damit du klar siehst und mit dir selbst und deiner Umwelt in wirklichen Kontakt treten kannst. Und hier steht an aller erster Stelle: Ruhe bewahren!

yogash-chitta-vritti-nirodhah

योगश्चित्तवृत्तिनिरोधः

 Yoga ist das zur Ruhe bringen des Geistes. (womit nicht nur Gedanken, sondern auch Gefühle und Neigungen gemeint sind)

Damit steht Yoga im krassen Gegenteil zu dem aufgebrachten Ton, den wir in den letzten Wochen auf Facebook & Co gehört haben.

So, das war jetzt eine lange Einleitung, um zum eigentlichen Hauptteil dieses Textes zu kommen. Die folgenden Gedanken erheben weder einen Anspruch auf Vollständigkeit noch auf Richtigkeit. Sie sind das Ergebnis aus vielen meiner Diskussionen und langen Meditationen, die voll von Gedanken über dieses Thema waren ;) und sie sind eine Einladung an dich, sie a) auszuprobieren und b) zu ergänzen.

Mit anderen Worten: die Diskussion ist eröffnet. Ich und das ganze Team von YogaMeHome, wir freuen uns über deine Meinung.

Vorschläge für eine faire Gesprächskultur:

Regel Nr. 1: Kenne die Fakten

Ohne Fakten können wir nicht diskutieren. Sie sind die Grundlage von allem. Wenn du deine Argumente baust, prüfe vorher alle Fakten, auch die der Gegenmeinung. Wenn die Faktenlage tatsächlich unklar sein sollte, dann sei dir im klaren darüber, dass wir mit Annahmen diskutieren und nicht mit Sicherheiten. Damit hat jedes Gespräch einen ganz anderen Charakter, wir sprechen dann besser im Konjunktiv. Wenn wir alle die Fakten rund um Corona prüfen würden, bevor wir auf Facebook&Co in die Diskussion eintreten, hätten wir uns viel unnötige Streiterei erspart.

Regel Nr 2: Nenne die Quelle

Wer Fakten einbringt, muss auch Quellen nennen. Nicht, dass eine Quellenangabe die Aussage automatisch richtig macht, aber sie gibt dem Gegenüber die Chance, das Gesagte zu prüfen und sich eine eigene Meinung zu bilden. Das ist fair.

Regel Nr 3: Check deine Intention

Bevor du etwas postest, frage dich selbst, warum du das postest und warum auf diese Art und Weise. Das scheint mir die wichtigste Regel überhaupt zu sein. Shubhraji, eine Vedanta-Lehrerin, die ich sehr schätze, sagte mal in einem Interview zu mir:

„Wenn deine Intention eine wohlwollende ist, dann wird das Ergebnis gut“.

Ich denke, damit ist alles gesagt.

Regel Nr 4: Über Intention kann man nicht diskutieren

Besonders in der Yoga-Szene habe ich häufig gehört: „Das sagt mir meine Intuition“ oder „das erlebe ich so“. Während Intuition in vielen Lebensbereichen ganz wunderbar ist, hat sie, meiner Meinung nach, in einer öffentlichen Diskussion nichts verloren. Denn wer bin ich, über deine Intuition zu urteilen. Sie ist dein gutes Recht, über sie kann man nicht diskutieren. Wer also mit Intuition argumentiert, nimmt sich selbst aus der Diskussion raus, was schade ist. Intuition gehört also auf das Meditationskissen oder gerne im engsten Freundeskreis besprochen, nicht in öffentlichen Diskussionen. Wenn du sie doch einbringen möchtest, weil sie dir so wichtig ist, dann kennzeichne sie auch als subjektives Gefühl. Zum Beispiel mit „Ich habe das Gefühl, dass...“ oder „Ich glaube...“ - dann weiß jeder bescheid.

Regel Nr 5: Bleib bei dir

Oder von der „Du-Botschaft“ zur „Ich-Botschaft“. Es ist etwas vollkommen anderes, ob ich sage: „Ich empfinde diese Gesprächsregeln als falsch“, oder „deine Regeln sind falsch“. Wenn wir über den anderen sprechen, ist das ein bisschen so, als würden wir ohne Boxhandschuhe in den Ring steigen, das tut dann schnell mal richtig weh. Keiner von uns sieht in den anderen rein, deshalb können wir auch nicht sagen, was für den anderen richtig oder falsch ist. Glaubt mir, diese Regel ist wirklich wichtig. Ich habe sie in einigen Paartherapien mit meiner Frau schmerzhaft lernen müssen. Ich weiß, wovon ich spreche.

Regel Nr 6: Bleibe sachlich

Aggression ist ein ganz normales Gefühl und kommt im besten Yogi vor - hab ich gehört. Und natürlich kommt sie in Diskussionen immer wieder vor. Aber wir haben immer die Wahl, ob wir sie im Gespräch auf unser Gegenüber loslassen oder doch lieber unserem Sandsack schenken. Spass beiseite: Angriffe, egal ob über oder unter der Gürtellinie, dienen immer nur dem eigenen Bedürfnis, sich Luft zu machen oder unbedingt gewinnen zu wollen. Sie dienen niemals der Qualität eines Gespräches.

Regel Nr 7: Zuhören tut gut

Kennst du das? Noch während der andere redet, denkst du schon darüber nach, mit welchem Argument du gleich kontern wirst? Häufig wollen wir in einer Diskussion nicht verstehen, sondern gewinnen. Dagegen hilft zuhören! Viel und lange zuhören, dann eine Nacht drüber schlafen und erst dann antworten. Im Gegensatz zu echten Gesprächen geht das mit dem „drüber schlafen“ auf Facebook ganz hervorragend. Hmmm... vielleicht sollte das überhaupt die erste Regel für eine bessere Gesprächskultur sein?

Regel Nr 8: Sei konstruktiv

Diese eine Regel möchte ich noch hinzufügen, denn sie ändert den Verlauf vieler Konflikte. Spare nicht mit Kritik, aber denke auch über Lösungen nach. Stelle also häufiger mal die Frage: wenn ich in der Verantwortung wäre, was würde ich machen, um das Problem zu lösen? Wer es selbst nicht besser weiß, tut gut daran, einfach mal nichts zu sagen. Manchmal ist nichts sagen überhaupt eine sehr edle Variante der Diskussionsteilnahme.

Abschließend sei hier nochmals betont: diese Regeln sind eigentlich nur Ideen und nicht der Weisheit letzter Schluss und schon gar nicht vollständig. Sie sollen ein Anfang sein. Denn wir werden auf Facebook & Co noch viele, auch sehr heikle Debatten führen und wenn wir es geschickt angehen, wird uns das näher zusammen rücken lassen. In einer fairen Gesprächskultur werden wir zu besseren Entscheidungen kommen, weil wir uns nicht in Lagerkämpfen verstricken, die uns nur blind für Lösungen machen. Und zu guter Letzt, werden viele der absurden, als Meinung getarnten Haltungen, einfach wegfallen, weil sie bereits von Regel 1 ausgesiebt werden.

Ich freue mich, über weitere Ideen von euch für eine schönere Gesprächskultur,

Philipp

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Philipp (Redaktion)

Philipp Strohm ist Gründer von YogaMeHome. Wenn er nicht gerade mit seiner Kamera auf Tour ist, um die Lehrer-Perlen der deutschsprachigen Yoga-Welt zu finden, dann lebt er mit seiner Familie in Wien.

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