Christliche und yogische Werte: Passt das zusammen?
von Hardy Fürch in Philosophie

Wenn im Yoga-Studio der Weihnachtsschmuck funkelt – reibt sich das gedanklich? Inwieweit Christentum und Yoga vereinbar sind, anhand ihres Wertesystems, darüber philosophiert Hardy Fürch.

Donnerstagabend. Ich stelle mein Fahrrad ab, klemme mir die Yogamatte unter den Arm und gehe zu Fuß zum Eingang des Yogastudios. Dabei fällt mir gleich eine Veränderung auf: Die Tanne neben dem Studio ist mit einer spiralförmigen Lichterkette geschmückt, sodass der sonst im Dunklen kaum sichtbare Baum mir warm entgegenleuchtet. Mir gefällt dieser weihnachtliche Baumschmuck, Licht ins Dunkel bringen, denke ich. Wenige Meter weiter gehe ich durch den Studioeingang, an dessen Tür ein kleines OM-Zeichen prangt.

Irgendwie ruckelt´s in meinem Geist und sogleich taucht die Frage auf: Christentum und Yoga, passt das überhaupt zusammen? Und: Kann man diese beiden Sphären überhaupt angemessen vergleichen oder zusammenführen?

Yoga und Christentum

Zuerst fällt es mir schwer, beides zusammenzudenken. Denn das Christentum ist eine Religion und Yoga nicht – es sei denn, man interpretiert ihn hinduistisch. Was ich aus meiner Sicht für nicht hilfreich halte, weil das zum einen nicht gar nicht notwendig ist und zum anderen Yoga aus meiner Sicht weltanschaulich neutral vermittelt werden sollte, um grundsätzlich alle Menschen zu erreichen.

Ein angemessener Vergleich von Yoga und Christentum kann daher nicht auf der religiösen, sondern nur auf einer ethischen Ebene erfolgen. Weil es bei Ethik um Werte geht. Werte, die ich zur Grundlage meines Handelns mache.

Christliche Werte

Nun, welche Werte vertritt das Christentum? Auf den ersten Blick erscheint das eine einfach zu beantwortende Frage, bei genauerem Hinsehen wird das schon ziemlich kompliziert.

Glaube, Liebe, Hoffnung und Barmherzigkeit formen die christlichen Werte.

Als christliche Werte werden zumeist die Tugenden Glaube, Liebe, Hoffnung, Barmherzigkeit sowie Gerechtigkeit und Recht genannt. Diese Werte werden jedoch – je nach theologischer Auslegung – oft sehr unterschiedlich interpretiert.

Entspricht es etwa christlichen Werten, homosexuelle Paare kirchlich zu trauen? Ist die Todesstrafe gerechtfertigt? Ich denke, dass meine christlichen Freundinnen und Freunde in Köln oder streng-konservative Christen aus dem Bibel Belt der USA diese Dinge ganz unterschiedlich bewerten würden. Da der besagte Weihnachtbaum in Köln steht, entscheide ich mich für die Kölner Variante, die ich von Toleranz und Vielfalt grundiert und recht widerständig gegenüber der Amtskirche wahrnehme.

Und was sind nun „yogische“ Werte?

Yogische Werte

Hier erscheint mir eine Annäherung leichter, weil gemeinhin die Yamas und Niyamas als yogisches Wertegerüst, als innerer Kompass der Yogapraktizierenden anerkannt werden.

Hier findest Du eine 2-Minuten Einführung ins Yoga Sutra, das die Yamas und Niyamas enthält.

Zwar muss ein Teil dieser jahrtausendalten Wertvorstellungen neu für die heutige Zeit interpretiert werden, was die Sache dann wieder abhängig vom jeweiligen Interpreten macht. Aber grundsätzlich sehe ich hier keine unüberbrückbaren Differenzen, gerade wenn es um so grundlegende und universell gültige Yamas wie Ahimsa (Gewaltlosigkeit) oder Satya (Wahrhaftigkeit) geht.

Gemeinsamkeiten und Unterschiede

Vieles von dem, was als christliche Tugend gilt, ist auch bei den Yamas und Niyamas abgebildet. Wenn es allerdings um so etwas wie Barmherzigkeit geht, erscheint mir die christliche Sicht tiefergehender. Barmherzigkeit ist immer auch gelebte, aktive Liebe, die sich auf einen Nächsten bezieht. Jesus nimmt hierfür als Beispiel den barmherzigen Samariter.

Barmherzigkeit ist gelebte, aktive Liebe, die sich auf einen Nächsten bezieht.

Diese Form der unterschiedslosen aktiven Zuwendung zum Nächsten ist in der indischen Kultur nicht so stark verwurzelt, weil es hier jahrtausendelang um die persönliche Befreiung des Einzelnen (innerhalb der jeweiligen Kaste) aus dem Rad der Wiedergeburten ging.

Die christliche Ordensfrau und Friedensnobelpreisträgerin Mutter Teresa (1910 – 1997), die viele Jahre in den Slums von Kolkatta (Kalkutta) wirkte, wird auch im heutigen Indien von vielen Menschen, unabhängig von deren Religion, wie eine Heilige verehrt. Ich denke, dass dies in ihrer unermüdlichen Barmherzigkeit begründet liegt.

Da die meisten Menschen im Westen von der jüdisch-christlichen Kultur geprägt sind, haben wir die Tugend der aktiven Zuwendung zum Nächsten quasi mit der Muttermilch eingesogen. Darauf fußend hat sich in den meisten Ländern Europas mittlerweile ein explizit soziales Staatswesen, ein Sozial- oder Wohlfahrtsstaat, der sich um die Schwachen und Kranken kümmern soll, etabliert.

Wir müssen uns daher nicht mehr persönlich um sozial Schwache oder Kranke kümmern, das machen dann die Krankenkasse oder das Sozialamt. Wir haben die Barmherzigkeit quasi institutionalisiert. Die eigene gelebte Barmherzigkeit kann allerdings bei einem solchen Modell schnell zu kurz kommen.

Die eigene gelebte Barmherzigkeit kann beim Modell Sozialstaat schnell zu kurz kommen.

Der Fokus im Yoga: Ahimsa - Gewaltlosigkeit

Die yogische „Haupttugend“ scheint mir Ahimsa, die Gewaltlosigkeit zu sein. Sie steht ja auch an erster Stelle der Aufzählung der Yamas. Dabei geht Ahimsa bei genauer Betrachtung über die von Jesus gepredigte „Friedfertigkeit“ der Bergpredigt hinaus, weil mit Ahimsa eine Gewaltfreiheit im umfassenden Sinne gemeint ist: gewaltfrei auch in Gedanken und Kommunikation. Gewaltfrei zudem gegenüber allen fühlenden Wesen.

Ahimsa bedeutet umfassend: gewaltfrei auch in Gedanken und Kommunikation. Gewaltfrei gegenüber allen fühlenden Wesen.

Hieraus leitet sich auch der weitverbreitete Vegetarismus bzw. Veganismus der Yoga-Praktizierenden ab (das nur zur traditionellen „Weihnachtsgans“).

Relativ neu ist der Gedanke, nicht nur auf die direkte, sondern gleichfalls auf indirekte Formen der Gewalt zu schauen, wie sie sich zum Beispiel in Formen von struktureller Gewalt wie Rassismus oder unfairen Handelsbeziehungen zeigen. Ahimsa nimmt auch dies in den Blick und lässt uns zum Beispiel einfühlsam mit Menschen anderer Hautfarbe oder achtsam mit unseren Konsumgewohnheiten umgehen.

Die Werte zusammenführen

Wenn ich jetzt christliche Werte wie gelebte Barmherzigkeit und yogische Werte wie umfassende Gewaltfreiheit zusammenführe, dann erschließt sich mir ein immens weites Werte-Feld. Ein Werte-Feld, auf dem sich politische Führer wie der Baptist und Friedensnobelpreisträger Martin Luther King („I have a dream“) bewegten. Auch die friedliche deutsche Wiedervereinigung, die ihren Ausgang in den Kirchen der DDR hatte, war gewaltfrei organisiert.

Es scheint so, dass sich christliche und yogische Werte in idealer Weise ergänzen, wenn es um grundlegende gesellschaftliche Veränderungsprozesse geht.

Christliche und yogische Werte ergänzen sich, wenn es um grundlegende gesellschaftliche Veränderungsprozesse geht.

Doch es muss nicht gleich eine friedliche Revolution sein, denke ich. Auch im Kleinen und persönlichen Umfeld können wir so etwas leben, wenn wir grundsätzlich jedem Menschen erst einmal freundlich zugewandt und gewaltfrei begegnen – ganz gleich, welche Meinungen und Befürchtungen ihn momentan bewegen. Gerade heutzutage ist das nicht immer leicht.

So gesehen passen der Weihnachtsbaum und das Yogastudio dann doch gut zusammen. Shanti OM und Amen.

 

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Hardy Fürch

Freigeist. Unterrichtet Yoga im eigenen Studio in Köln. Autor, u. a. von „Yoga for Future – Yoga in Zeiten der Corona- und Klimakrise“ (2020). Dozent in der Yoga-Lehrausbildung im Bereich Yoga-Philosophie/Ethik. 2010 – 2019 Vorstand im Berufsverband der Yogalehrenden in Deutschland (BDY). Seit über 40 Jahren in Parteien und NGOs engagiert. Website: www.yogaraum-koeln.de

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