Missbrauch durch Kundalini-Meister Yogi Bhajan
von Elena Patzer (Redaktion) in Inspiration

Der Gründer des Kundalini Yoga, Yogi Bhajan hat Schüler:innen belästigt und missbraucht. Das wurde nun in einem unabhängigen Bericht bestätigt. Wir sprechen über dieses dunkle Kapitel und fragen: Was bedeutet es für Kundalini-Yogis? Auch im Interview mit 3HO-Geschäftsführer Karta Purkh Singh.

Eine Frau brach das Schweigen - und weitere folgten

Lange nachdem Yogi Bhajan 2004 verstarb, fasste eine Frau den Mut, ihre Geschichte zu teilen: Pamela Dyson, die ehemalige Sekretärin von Yogi Bhajan.

Ende 2019 veröffentlichte sie ihr Buch “Premka: White Bird in a Golden Cage”, das mit der Geschichte einer Abtreibung beginnt - der Abtreibung von Yogi Bhajans Kind. 

Doch es geht nicht so dunkel weiter, wie es anfängt: Pamela berichtet von einer großen Liebesgeschichte zwischen ihr und ihrem Lehrer. Eine Beziehung über ca. 16 Jahre mit Höhen und Tiefen, Liebe und Verlust, Schmerz und letztlicher Heilung. Die Beziehung war also einvernehmlich - und doch ethisch inakzeptabel.

Ermutigt von ihrem Vorstoß begannen auch andere ehemalige Schüler:innen ihre Erlebnisse zu teilen. Leider auch nicht einvernehmliche Erlebnisse.

Es ist wichtig, dass Opfer gehört und Lehren daraus gezogen werden

Es ist wichtig, dass die Opfer gehört und unterstützt werden. Und dass ein Bewusstsein für Grenzüberschreitungen gestärkt wird - auch um weiteren Missbrauch möglichst zu verhindern.

Wir bei YogaMeHome lehnen jegliche Übergriffe ab und sprechen uns für aufgeklärtes Yoga aus. Während wir nicht denken, dass man wegen der Fehlbarkeit einer Person mit Kundalini Yoga aufhören sollte, finden wir es wichtig, die Geschehnisse nicht zu ignorieren.

Man muss die Dinge beim Namen nennen, bewusst mit ihnen umgehen und Lehren daraus ziehen. Deswegen wollen wir das Thema hier offen besprechen.

Wie reagierte die Kundalini-Gemeinschaft?

Sie wollte die Wahrheit finden. Die Siri Singh Sahib Corporation (SSSC), die Dachorganisation aller auf Yogi Bhajan begründeten Organisationen, beauftragte eine unabhängige Untersuchung.

Die Verantwortung übertrugen sie der An Olive Branch Organisation, die sich mit ethischem Fehlverhalten in spirituellen Gemeinschaften auseinandersetzt.

Die Ergebnisse dieses Berichts liegen nun vor.

Der Bericht enthüllt sexuellen und spirituellen Missbrauch

Im August wurde der Bericht veröffentlicht und damit auch die Erfahrungen der Opfer sowie Zeugenaussagen. 299 Menschen haben sich in der Untersuchung geäußert. 140 davon unterstützen Yogi Bhajan. 96 von ihnen berichteten über Missbrauch.

Darunter sind vier Fälle von Vergewaltigungen sowie mehrere Fälle von Körperverletzung während des Sex und von ungewollten Berührungen.

Ein Großteil des  vorgeworfenen Verhaltens wird eher als wahrscheinlich eingestuft. Das ist die Formulierung des Berichts, da es sich nicht um eine juristische Ermittlung handelt, die bewiesene Tatsachen hervorbringt.

Neben sexuellem Missbrauch wurde auch berichtet, dass Yogi Bhajan eine Atmosphäre aus Unterdrückung und Angst schuf. Der Angst, aus der Gemeinschaft ausgeschlossen zu werden. Solche Situationen werden als sektenähnliche Verhältnisse und spiritueller Missbrauch bezeichnet.

Den gesamten Bericht kannst du hier nachlesen. (Hinweis: Die Inhalte könnten verstörend sein.)

Offenheit und Mitgefühl von Seiten der SSSC

Der begleitende Brief von der SSSC lässt viel Mitgefühl spüren. Keine Spur davon, den Meister zu verteidigen. Stattdessen zeigt sich die Organisation sehr offen und anerkennend gegenüber der Opfer.

Der nächste Schritt sei es nun, den Heilungsprozess zu starten. Dafür möchte die SSSC ein Programm der mitfühlenden Versöhnung in die Wege leiten.

In erster Linie geht es da um Mitgefühl sowie darum, ethische Standards einzuführen und den Betroffenen zuzuhören. Es soll ein sicherer Raum geschaffen werden, in dem jeder sich äußern kann und gehört wird.

Wer war Yogi Bhajan?

Als Harbhajan Singh Puri wurde er 1929 im Norden Indiens geboren. Als Yogi Bhajan brachte er 1968 Kundalini Yoga in den Westen und baute sich eine große Folgschaft in den USA auf. Neben Kundalini Yoga lehrte er auch weißes Tantra und das Sikh Dharma, die indische Religionstradition, aus der seine Familie stammt. 2004 verstarb er in New Mexico.

Schon früh gründete er die Healthy, Happy, Holy Organization (3H0), die heute in 35 Ländern vertreten ist. Es folgten zahlreiche weitere For-Profit und Non-Profit Unternehmen. Darunter auch der bekannte Yogi-Tee. Die SSSC, die den aktuellen Bericht in Auftrag gegeben hat, ist eine Art Vorstand und Aufsichtsbehörde für die Kundalini-Organisationen in den USA.

Wie geht es weiter für Kundalini-Yogis? Ein Gespräch mit Karta Purkh Singh

Was passiert nach solchen Enthüllungen innerhalb der Kundalini-Gemeinschaft? Das habe ich Karta Purkh Singh gefragt, den Geschäftsführer von 3H0 Deutschland und Lehrer bei YogaMeHome.

Karta Purkh, wie nimmst du die Reaktionen innerhalb der Kundalini-Community wahr?

Der Großteil der Menschen akzeptiert diesen Bericht. Es ist wichtig, dass Menschen, die Schmerz erlitten haben, sich ausdrücken können und gehört werden. Der Bericht spielt hier eine große Rolle.

Dann gibt es eine Minderheit, die abwehrend reagiert und die Aussagen anzweifelt. Wieder andere sagen, der Bericht ist noch nicht umfassend genug und reiche nicht aus.

Ich persönlich begrüße diese Enthüllungen sehr. Es gab immer wieder Gerüchte um Yogi Bhajan. Ich habe ihn selbst gekannt und ihn als kraftvolle, manchmal übergriffige und direktive Person wahrgenommen. Jetzt bin ich froh, dass die Geheimnisse raus sind und dass man darüber sprechen kann. Nur so gibt es einen Weg zur Heilung.

Wie siehst du jetzt das Verhältnis zu Yogi Bhajan?

Yogi Bhajan hat viel bewegt. Er hat die Lehre über die ganze Welt verbreitet und damit vielen Menschen geholfen. Das wird ihm nicht genommen, er bleibt der Überbringer der Lehre.

Dennoch hoffe ich, dass es den Emanzipationsprozess voranbringt. Jeder Yogi und jede Yogini ist jetzt umso mehr angehalten, seine oder ihre Werte selbst zu leben. Dazu braucht man keinen Yogi Bhajan oder irgendeinen anderen Guru.

Der Personenkult um ihn wird wahrscheinlich aufhören. Und das finde ich sehr gut!

Kann man jetzt noch Kundalini Yoga üben und lehren?

Es geht um die Erfahrung und die Praxis, dass Menschen durch sie wachsen und heilen können. Das steht im Vordergrund - nicht die Person. Die Personenbezogenheit auf Yogi Bhajan bringt einen weg von der eigenen Selbstfindung.

Ich werde daher weiter unterrichten. Doch natürlich darf und wird das jeder individuell entscheiden.

Wie geht ihr innerhalb der H3O mit den Veröffentlichungen um?

Als Kundalini Yoga Lehrende lehnen wir jede Form von Übergriffen und Gewalt ab. Wir fühlen mit den Opfern! Wir sehen diese Aufarbeitung als eine Chance der Veränderung und Neuorientierung. Seit Aufkommen der Anschuldigungen diskutieren wir intensiv und führen viele Gesprächskreise, um Fragen zu klären und uns auszutauschen.

Was habt ihr für Konsequenzen aus den Enthüllungen gezogen?

Wir arbeiten in der 3HO schon seit Jahren an Strukturen, die unsere Praxis und Lehre noch sicherer für die Praktizierenden machen. Seit über 20 Jahren haben wir eine Beschwerdestelle, die wir immer weiterentwickeln. Hier können sich Betroffene melden, ganz vertraulich und auf Wunsch anonymisiert.

Gleichzeitig wollen wir verhindern, dass es überhaupt zu Übergriffen kommt. Dazu entwickeln wir zur Zeit mit dem Verein Allerleirauh ein Schutzkonzept. Es geht darum, Risikofaktoren zu identifizieren und einen sicheren Raum zu schaffen.

Es kann für eine Gemeinschaft schwer sein, wenn sie nach solchen Vorwürfen ihre Leitfigur verliert. Was wünschst du dir für die Zukunft von Kundalini Yogis und Yoginis?

Ich wünsche mir für jeden Yogi und jede Yogini, dass sie die Führung und den Weg in sich selbst finden, in ihrem eigenen Bewusstsein. Dass sie sich von niemandem abhängig machen - am Ende nicht einmal von der Praxis! Denn sie ist nur ein Weg, die Kraft in sich selbst zu finden.

Also: Finde den Weg in dir selbst. Finde die Göttlichkeit, das höchste Bewusstsein, oder wie du es nennst, in dir selbst. Yoga ist ohne Meister möglich.

 

Vielen Dank für das Gespräch!

Folge der Lehre, nicht dem Lehrer

Können wir noch guten Gewissens Kundalini Yoga üben? Ja. Wenn Kundalini Yoga dir Kraft gibt und dich dir selbst näher bringt - dann hat das nichts mit Yogi Bhajan zu tun. Sondern mit deiner eigenen Beziehung zur Praxis.

Es ist in Ordnung und sogar sinnvoll, die Lehre vom Lehrer zu trennen. Denn ein Lehrer ist immer nur ein Mensch - mit Fehlern. Doch die Lehre (ob Kundalini oder jede andere Tradition, die dich anspricht) bringt uns Wissen, Freiheit, Selbsterfahrung.

“It’s not the teacher, it’s the teachings” (es ist nicht der Lehrer, es ist die Lehre) - das pflegte Yogi Bhajan selbst zu sagen.

Es ist eine wertvolle Erinnerung, die eigene Beziehung zur Yoga-Praxis zu finden - und damit den Guru in dir selbst.

Bleibt kritisch, hinterfragt! Denn Yoga ist Wahrheitsfindung.

Ich halte es gar nicht für notwendig, sich explizit auf eine Seite zu schlagen. Sondern ich möchte dazu anregen, kritisch zu bleiben und zu hinterfragen. So wie es die Yoga-Philosophie fordert: in unserer Befreiung von Avidya, der Unwissenheit. Na klar steckt in Yoga unheimlich viel Gutes, aber zur Verblendung sollte das nicht führen.

Ich habe euch das alles hier zusammengeschrieben, um anzuregen, die Augen etwas offen zu halten. Und nicht allem, nur weil es aus Indien kommt, unhinterfragt Autorität zu geben. Bevor man einfach irgendwelche Dinge übernimmt, ist ein kritischer Faktencheck, denke ich, sinnvoll. Im Yoga geht’s schließlich um Wahrheitsfindung. Und je genauer man es damit nimmt, desto mehr kann man sehen.

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Folgend noch ein Aufurf, den wir erhalten haben und gerne unterstützen:

"Mein Name ist Lea Semen, ich bin Journalistin und arbeite für das Y-Kollektiv, dem größten deutschen Reportage-Format auf YouTube von funk / ARD und ZDF. Ich recherchiere zum Thema sexueller Missbrauch im Yoga. Ich bin bereits in Kontakt mit einer jungen Frau, die sexuellen Missbrauch durch ihren Yoga-Lehrer erlebt hat und suche weitere Frauen, die bereit sind mir zu erzählen, was ihnen passiert ist - ob daraus dann ein Interview vor der Kamera wird würden wir gemeinsam in einem zweiten Schritt besprechen. Ich freue mich sehr, wenn Du Dich bei mir meldest, gerne auch anonym.

Mein Kontakt: l.semen@sendefaehig.com // mobil: 0049/ 160 / 95990171."

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Elena Patzer (Redaktion)

Elena ist Texterin und Yogini mit ganzem Herzen. Meist trifft man sie in Indien oder Südost-Asien, wo sie das gute Leben genießt, Yoga übt und immer gerade in mindestens einem Kurs über Yoga, Heilung oder Kunsthandwerk steckt. Seit August 2020 leitet sie unseren Blog und unterstützt uns auch in anderen Text-Belangen.

Mehr von Elena lest Ihr hier: elenayoga.de/

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