Frei von Angst mit TCM - Interview mit Dr. Weidinger
von Elena Patzer (Redaktion) in Gesundheit und Rezensionen

Warum solltest du dich um Magen und Nieren kümmern, wenn du Ängste hast? Wie die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) Angst erklärt, zeigt der Arzt Dr. Georg Weidinger – und wie du Angst reduzieren kannst.

Sich von Angst befreien und mehr Lebensfreude spüren – dafür hat die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) eine wirksame Anleitung auf Lager. In seinem neuen Buch „Frei von Angst  durch die Heilung der Mitte“ erklärt Dr. Weidinger leicht verständlich, welche Rolle die einzelnen Organe und Elemente beim Entstehen von Angst spielen. Dazu gibt er viele Tipps für TCM-Kräutermischungen, westliche Behandlungsmethoden, Yoga-Übungen, Ernährung und Lebensstil.

Ich hatte die Chance, mit ihm im Interview über Angst und TCM zu sprechen. Die spannenden Antworten findest du hier.

Angst und Lebensfreude

Herr Weidinger, wenn jemand zu Ihnen in die Praxis kommt und sagt, er oder sie hat ständig Ängste - was ist das Erste, was Sie tun?

Das Erste, was ich mache: Ich erzähle einen Witz oder eine lustige Geschichte. Wenn er oder sie dann lacht, hat er oder sie eine gute Prognose! Chinesisch sprechen wir von „Shen“, dem Geist des Herzens. Er steht für unsere Lebensfreude, für das Positive in unserem Leben, für Hoffnung und Kraft, weiterzumachen. Die Angst sitzt chinesisch gedacht in der Niere. Und die Niere hat einen Gegenspieler, das Herz. Wenn Niere, welche für das Element Wasser steht, mit dem Herzen, welches für das Element Feuer steht, wieder im Einklang sind, verschwinden Ängste und der Shen mit der Lebensfreude macht sich bemerkbar.

Ursachen von Angst

Zum Glück werden wir heute selten ernsthaft bedroht, wie vom berühmten Säbelzahntiger. Wie entstehen dann diese Ängste, die viele spüren?

Ängste sind wichtige Wegweiser für unser Verhalten auf dieser Welt, wie auch alle anderen Gefühle. Die Angst will uns sagen: „Tu das nicht! Sei vorsichtig! Übertreibe nicht! Passe auf Deine Familie auf! Geh vorsichtig über diese befahrene Straße!“ Die Angst beschützt uns.

Problematisch wird die Angst erst dann, wenn sie den Alltag dominiert und ein normales Leben fast nicht mehr zulässt. Dann spricht man von Angststörung und diese muss unbedingt behandelt werden. Dieses Dominieren von Ängsten im Alltag hat oft mit Erschöpfung, viel Stress, Überlastung, fehlender Wertschätzung, fehlender sozialer Geborgenheit und dem Alleinsein zu tun. Da rattert dann oft der Kopf und man sieht sich nicht mehr heraus.

Angst in der TCM

Wie werden Ängste in der TCM gesehen?

Ängste sind in der TCM Wegweiser, um den Körper zu stärken. Wie gesagt, die Angst sitzt in der Niere und diese ist laut TCM-Denken verantwortlich für unsere Reserven. Wenn jemandem etwas „an die Nieren“ geht, belastet ihn das sehr und erschöpft den Körper. Daraus kann eine Angst resultieren.

In der TCM setzt man nicht an der Angst selbst an, sondern am Körper.

In der TCM setzt man dann nicht an der Angst selbst an, sondern am Körper: Man stärkt den Körper, die Niere, mit guter Lebensführung, guter Ernährung, Stressabbau, Ruhephasen, gutem Schlaf und positivem Denken. Und wenn man sich dann wieder so richtig gut im eigenen Körper fühlt, ist auch die Angst verschwunden.

Sie schreiben im Buch, dass Symptome und Krankheiten immer Botschaften des Körpers an uns sind. Welche Botschaft hat Angst an uns?

Denken Sie an eine Mutter, die ihr Kind stillt, und auf einmal im Wochenbett Ängste entwickelt, was recht häufig vorkommt: Angst vor der Höhe, vor vielen Menschen, vor Krankheiten. Da schickt die Natur dieses Gefühl, damit die Mutter besser auf sich und ihr Kind aufpasst, damit das Kind überleben kann. Oder denken Sie an Sodbrennen: Der Körper will Ihnen dieses Essen oben hinaus zurückwerfen und sagt ihnen damit: Behalt Dir den Dreck! Gib mir gutes Essen! Oder denken Sie an Erschöpfung: Der Körper will Sie dazu zwingen, sich ins Bett zu legen und einmal eine Woche lang zu schlafen...

Doch wir tun nicht, was der Körper uns sagt. Und so denkt er sich: Gut, er hat nicht reagiert, schicke ich ihm das nächste Symptom, die nächste Krankheit!

Wenn wir aber verstehen, was der Körper uns sagen will und entsprechend reagieren, unser Verhalten ändern, wird das Symptom verschwinden. Angst als Gefühl der Niere ist deshalb in der Evolution ein so wichtiges Gefühl, weil es die Arterhaltung zum Ziel hat. Die Angst schützt vor dem vorschnellen Tod und sichert damit das Überleben der Art. Dieses alte evolutionäre Muster ist tief in unseren Genen gespeichert und funktioniert bei uns heute noch.

Ängste reduzieren

Was sind die ersten Schritte laut TCM, die man als Betroffene:r umsetzen kann, um Ängste zu reduzieren?

Der erste Schritt ist: Kümmere Dich um Deine Mitte! Mit „Mitte“ meint man im Endeffekt den Verdauungsapparat. Wenn man sich sehr gut ernährt, drei Mahlzeiten am Tag, gut zubereitet, zu sich nimmt, sich für das Essen viel Zeit einräumt und es auch genießen lernt, wird die Mitte mehr „Qi“, mehr Energie, produzieren, der ganze Körper kräftiger werden, Schwachstellen ausgleichen können und man sich besser fühlen.

Kümmere dich um deine Mitte – deinen Verdauungsapparat!

Die gute Ernährung ist die Hausaufgabe, ebenso wie das Überdenken des eigenen Alltags mit all den stressigen Momenten, mit all den Belastungen. Die große Frage ist: Was will DIR DEINE Angst sagen? Was kannst DU machen, damit die Situationen, in denen sie auftritt, verschwinden? Und wo brauche ich zusätzlich Hilfe von außen, um die Angst zu bewältigen?

Wenn man gerade akut die Angst hochkommen spürt, was kann man dann zur „schnellen Hilfe“ tun?

Die akute Angst äußert sich gerne als „Panikattacke“, als übermächtige Angst mit vielen bedrohlichen körperlichen Symptomen, welche alle Zeichen davon sind, dass der ganze Körper sehr viel Stress hat: schneller Puls, schnelle und flache Atmung mit Engegefühl und Schmerzen im Brustkorb, starkes Schwitzen und das Gefühl, sofort aus der Situation rausrennen zu müssen.

Das Wichtigste ist VOR einer Panikattacke zu wissen, wann diese typischerweise auftritt. Dann kann man die Situationen oft vermeiden, bis man schließlich stark genug ist, um sich diesen wieder zu stellen.

Wenn man in einer Panikattacke steckt, hilft oft langes Ausatmen und am Ende der Ausatmung die Luft kurz anhalten, dann langsam wieder einatmen. Das sollte man unbedingt schon viel geübt haben. Dann kennt man den Effekt, nämlich dass alles „runterkommt“, der Geist, die Atmung, der Puls, die Schultern, die Angst. Und dann sollte man sich dezent zurückziehen, an einen stillen Ort, und wieder ganz runterkommen, bevor man sich wieder unter Leute wagt. Es hilft auch, mit jemanden als Vertrauensperson solche Situationen zu üben und durchzustehen. Das Gefühl von Sicherheit durch einen anderen Menschen kann schon alles verändern.

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Yoga gegen Angst

Wie hilft Yoga gegen Angst?

In der Yoga-Philosophie wenden wir uns nicht der Angst zu, sondern dem Vertrauen, dem Vertrauen in den eigenen Körper, in die eigenen Ziele, in die Welt. Wir lenken also die ganze Energie nicht dem Negativen zu, sondern dem Positiven. Wenn man vertraut, dass man sein Leben meistert, dass man die gestellten Aufgaben bewältigt, hat Angst keine Chance.

Die Betonung sollte auf Ausatem und Vorbeugen liegen.

Bei den Körperübungen soll man dann ausatem- und vorbeugenbetont üben, um mehr Ruhe in den Körper zu bekommen, und meditieren. Pranayama, also die Atemkontrolle, kann auch viel verbessern. Ideal ist dafür ein Yoga-Einzelunterricht, in der der Yogalehrer, die Yogalehrerin ganz auf die Bedürfnisse des jeweiligen eingehen kann.

Yoga-Übungen gegen Angst

Dies ist eine Auswahl an Übungen aus dem Buch „Frei von Angst“. Sie sind dazu gedacht, das Nervensystem zu beruhigen und Entspannung zu bringen.

Die Illustrationen sind von Georg Weidinger selbst gezeichnet und wurden uns freundlicherweise vom Kneipp Verlag Wien zur Verfügung gestellt.

1. Einfache Atemübung

Legen Sie eine Hand auf den Brustkorb, die andere auf den Bauch. Atmen Sie in Ruhe ein und aus und beobachten Sie Ihren Atem. Welche Hand hebt sich? Welche Hand senkt sich, und wann? Dann greifen Sie in die Atmung ein. Achten Sie darauf, dass sich in der Einatmung nur Ihre Hand am Bauch hebt und bei der Ausatmung nur Ihre Hand am Bauch senkt. Üben Sie diese Atmung mindestens zehn Atemzüge lang.

2. Uttanasana (Vorbeuge) mit Verweilen

Lassen Sie die Einatmung beginnen. Der Atem führt die Bewegung. Heben Sie die Arme und den Kopf synchron mit der Atmung. In der Ausatmung beugen Sie sich vor, lassen Ihre Arme und Ihren Kopf folgen. In der Einatmung richten Sie Ihren Körper wieder etwas auf und strecken Sie den Rücken etwas durch. Heben Sie den Kopf leicht, ohne dass Sie Ihre Hände von Ihren Unterschenkeln, Füßen oder vom Boden lösen. In der Ausatmung beugen Sie sich wieder vollständig nach vorne.

Wenn möglich, wiederholen Sie dieses Verweilen mindestens zwei- bis dreimal. Richten Sie sich dann in Uttanasana wieder auf und schließen Sie diese Übung ab. Gönnen Sie sich ein paar entspannte Atemzüge und wiederholen Sie „Uttanasana mit Verweilen“ noch zweimal.

3. Beschütze die Niere

Setzen Sie sich im Schneidersitz auf Ihre Yogamatte, so gut es für Sie geht. Überkreuzen Sie die Beine ganz entspannt und richten Sie gleichzeitig Ihren unteren Rücken auf. Sie können zunächst die Hände auf die Knie legen und sich leicht mit einem Zug Ihrer Arme aufrichten.

Greifen Sie nun zu Ihren Füßen. Auf Ihren Sohlen gibt es einen wichtigen Akupunkturpunkt, Niere 1. Dort dringt gern Kälte in den Körper ein, weshalb dieser Punkt ganz viel Wärme und Zuwendung benötigt. Es ist wichtig, diesen Punkt zu schützen.

Legen Sie Ihren rechten Daumen auf den linken Niere-1-Punkt und Ihren linken Daumen auf den rechten Niere-1-Punkt. Halten Sie sich mit den übrigen Fingern beider Hände gut an Ihren Füßen fest.

Damit haben wir eine wunderbare „Nierenschutz-Position“. Sie wärmen so den Nierenmeridian mit Ihrer eigenen Wärme, aus eigener Kraft. Dabei schützen Sie Ihre wertvollen Reserven, die in der Niere sitzen, und schaffen einen Energiekreislauf, der durch Herz und Niere geht.

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Was wünschten Sie, würden Menschen, die sich mit Ängsten quälen, verstehen?

Ich wünsche mir, dass Angst nicht mehr von Medizin, Politik und Wirtschaft verwendet wird, um Menschen zu einer Verhaltensänderung oder einer Kaufentscheidung zu verleiten. Angst hemmt so viel in unserem Körper und kann so viel anstellen. Angst ist der stärkste Hemmer unseres Immunsystems. Es sollte gesellschaftlich geächtet sein, Angst zur Manipulation zu verwenden, wie das in anderen Kulturen der Fall ist. Das wünsche ich mir von Herzen.

Der Körper meint es gut mit uns.

Und für Menschen mit Ängsten wünsche ich mir, dass sie die Zusammenhänge verstehen zwischen Körper und Emotion und dass es der Körper fast immer gut mit uns meint. Wenn man lernt, den Körper richtig zu verstehen und entsprechend zu leben, hat die Angststörung keine Chance! Und für den Weg dahin gibt es Mittel in der normalen Medizin, in der Chinesischen Medizin und in vielen anderen Traditionen. Oft braucht es die Offenheit, nicht nur von Patienten, auch von Ärzten, um sich mit anderen Behandlungsmethoden zu beschäftigen und diese auszuprobieren. Das erklärte Ziel ist klar definiert: Der Shen, der Geist des Herzens, soll strahlen, man soll wieder uneingeschränkt glücklich sein.

Buch-Tipp: Frei von Angst

 

Wie kannst du der Angst ganzheitlich begegnen? Das zeigt der Arzt Georg Weidinger in seinem neuen Buch. Er erklärt auf unterhaltsame Weise, wie die verschiedenen Elemente und Organe nach der TCM zusammenarbeiten. Du lernst, welche Störungen der Balance Ängste verursachen – und wie du ihnen begegnen kannst. Große Empfehlung für alle, die mit Ängsten zu tun haben oder ihren Körper und Emotionen besser verstehen möchten!

Mehr Infos zum Buch

 

Mehr über Georg Weidinger

Dr. med. Georg Weidinger studierte Medizin und Psychologie an der Universität Wien und Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) an der Medchin bei François Ramakers und Gertrude Kubiena. Er ist Präsident der OGTCM, der Österreichischen Gesellschaft für Traditionelle Chinesische Medizin. Er lebt als Arzt, Autor, Yoga-Lehrer und Musiker mit seiner Frau, den drei Kindern und vielen Tieren in Forchtenstein im österreichischen Burgenland.

Mehr Infos: www.dieweidingers.com/

 

 

Teile mich auf:

Elena Patzer (Redaktion)

Elena ist Texterin und Yogini mit ganzem Herzen. Meist trifft man sie in Indien oder Südost-Asien, wo sie das gute Leben genießt, Yoga übt und immer gerade in mindestens einem Kurs über Yoga, Heilung oder Kunsthandwerk steckt. Seit August 2020 leitet sie unseren Blog und unterstützt uns auch in anderen Text-Belangen.

Mehr von Elena lest Ihr hier: elenayoga.de/

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Kommentare 

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Angelika

Wow, vielen lieben Dank für diesen wertvollen Artikel, das Interview und die Buchempfehlung, kommt für mich genau zu richtigen Zeit ;) Ich hatte gerade beim Lesen soviele „Aha-Momente“ und fühl mich dadurch schon bestärkt, das Buch wird ein Weihnachtsgeschenk an mich selbst ;) Alles Liebe, Namaste Angelika

Verfasst am 02.12.2021 um 11:15

Elena vom YogaMeHome-Team

Das freut mich sehr, liebe Angelika! Ich wünsche Dir viel Spaß beim Lesen und noch viele weitere Aha-Momente :) Ich hab das Buch auch verschlungen.
Alles Liebe,
Elena

Verfasst am 04.12.2021 um 14:15

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