Sriram: „Die eigene Gesundheit hängt vom Atem ab“
von Elena Patzer (Redaktion) in Gesundheit und Praxis

Der Atem ist Superfood für Körper und Geist. Über die Kraft des Atems spricht Sriram in seinem neuen Buch „Das Geheimnis des Atmens“ – und hier im Interview.

Hallo Sriram, wie erkenne ich, dass meine Atmung nicht richtig ist?

Wenn wir entspannt sind, macht der Atem eine Bewegung, die unterhalb der Lungen ist, unterhalb des Zwerchfells. Normalerweise bewegen wir die Brust nicht – außer Du redest schnell, bist aufgeregt usw. Das ist ein Anzeichen, wenn die Bewegung nicht unter der Brust stattfindet.

Und natürlich sollte kein Geräusch kommen. Wenn bei jedem Luftholen ein Geräusch kommt, wie ein Luftschnappen, dann ist das auch ein Zeichen, dass Du den normalen Atem verlassen hast.

Das Andere ist: Jemand hat z. B. ein Herzproblem, ist aufgeregt oder hat Ängste oder innere Unruhe. Dann kann es passieren, dass unsere Einatmung zu lang ist. Das heißt: Da ist ein Druck in mir. Bei der normalen Atmung ist die Ausatmung immer ein klein wenig länger als die Einatmung.

So erkennst Du, ob der Atem normal ist:

  • die Länge: Ausatmung sollte etwas länger als Einatmung sein.
  • der Ort: Atem sollte unterhalb des Zwerchfells stattfinden, die Brust ist still.
  • das Geräusch: Ein gesunder Atem macht kein Geräusch.

Du nennst den Atem das „schlichteste Heilmittel“ oder auch „Superfood“ für den Körper.

Wie beeinflusst der Atem die Gesundheit?

Wenn ich Kopfschmerzen habe, werden es diese Schmerzen nicht ermöglichen, dass ich ganz normal, also wirklich ruhig atme. Andersherum: Indem ich versuche, die Atmung zu korrigieren, werde ich dem Kopfschmerz einen gewissen Boden entziehen.

Denn, ohne dass der Atem mitmacht, hat der Kopfschmerz keine Macht über mich. Ich gewähre ihm keinen Platz, indem ich ihn den Atem nicht in Mitleidenschaft ziehen lasse.

Das heißt, egal ob es ein mentales, emotionales oder körperliches Problem ist: Du kannst immer mithilfe des Atems – nicht unbedingt komplett heilen, aber Symptome reduzieren und die Heilung vorbereiten.

Wenn jemand über Jahre hinweg nicht richtig atmet, kann das Krankheiten auslösen?

Sagen wir mal, bei einem Menschen, der im Büro sitzt und jahrelang nicht gut atmet. Bevor dieser Mensch Probleme damit bekommt, werden viele andere Sachen aufkommen: Probleme mit der Haltung, Verdauung, dem Kreislauf oder Rückenschmerzen.

Der Atem wird lediglich unterstützen, dass diese Probleme erhalten bleiben. Die schlechte Atmung hilft, dass andere Krankheiten gedeihen können, aber Atem selber löst keine Probleme aus.

Die schlechte Atmung hilft, dass andere Krankheiten gedeihen können.

Aber für Leute, die den Atem bewusst einsetzen - beim Yoga oder in der Musik, als Telefonist usw. – wenn wir da falsch atmen, laufen wir Gefahr, dass wir Krankheiten über die Atmung auslösen. Da muss man aufpassen.

Video-Tipp

Welche Rolle spielt der Atem im Yoga? Was das Yoga Sutra dazu sagt, erklärt Sriram in diesem kurzen Video:

Wie kann ich anfangen, zu lernen, richtig zu atmen?

Das erste Ziel ist die Grundatmung, die normale Atmung zu üben oder bewusst zu machen.

Du kannst dazu eine Serie von Vinyasas machen oder ein paar Minuten Yoga üben. Bevor Du weiter machst, bleibst Du eine Minute stehen und prüfst, ob Deine Atmung sich wieder normalisiert hat oder hektisch ist. Ob alle drei Kriterien für richtiges Atmen erfüllt sind. (siehe oben) Das muss man prüfen lernen, zwischen den Asanas und den Vinyasas.

Auch im Alltag: Wenn Du Dich gestresst fühlst, dann gucke kurz auf Deinen Atem. Jedes Mal, viele Male. Dieses immer wiederkehrende Anschauen des Atems ist schon genug.

Braucht man zusätzlich Pranayama-Übungen?

Ja, na klar! Man kann auch fragen, ob man Fitness-Übungen, Sport, Spazierengehen und das alles braucht. Klar, denn ohne sie ist es sehr schwierig, den Körper fit zu halten. Du kannst auch den Atem nicht fit halten, ohne dass Du ihn richtig dehnst, streckst und forderst. Pranayama-Übungen machen den Atem belastbar.

Pranayama ist wie Fitness-Übungen für den Atem, es dehnt und fordert.

Yoga ist nicht nur dafür da, um fit zu bleiben, sondern auch um den Atem zu trainieren. Und weil Atem und Geist so verwoben sind, ist jede Beeinflussung und Beherrschung der Atmung auch gleichzeitig eine Beeinflussung und Beherrschung des Geistes. Das macht es auch interessant.

Beeinflussung des Atems ist auch Beeinflussung des Geistes.

Da ist der Umkehrschluss: Wenn ich meinen Atem kontrolliere und in die richtige Bahn leite, können auch der Geist und der Körper folgen und gesund werden.

Ganz genau.

Welche Übung empfiehlst Du zur Entspannung - für Leute, die sich gestresst fühlen, innere Unruhe oder Ängste haben?

Nehmen wir den Satz „Ich bin ruhig“. Dann setzt Du Dich hin mit den Händen am Bauch und auf der Brust. Mit der Hand am Bauch schauen wir, dass der Atem unten bleibt. (siehe oben die Anzeichen für gesunde Atmung)

Und dann sagst Du beim Ausatmen: „Ich bin ruhig“. 20 Mal bei jeder Ausatmung. Und dabei wirst Du von Mal zu Mal immer langsamer.

Ich bin ruuhig.

Iich biin ruuuhig.

Iich biiin ruuuuuhiiiig.

So wird Deine Ausatmung länger.

Wenn Du so einen Satz sagst, dann spielt sich die Bedeutung bewusst und unterbewusst ab. Du könntest auch sagen „Om Namah Shivaya“, auch immer langsamer und ruhiger. Das wird eine ähnliche Wirkung haben.

Du musst dabei nicht mal laut sein. Es reicht sogar, wenn Du flüsterst, nur die Lippen bewegst oder es gedanklich sagst. So kannst Du die Übung überall machen.

Und was kann ich tun, wenn ich Energie gewinnen möchte?

2 Schritte.

Shritt 1: Stelle sicher, dass Deine Ausatmung langsam und ruhig ist.

Dann Schritt 2: Du fokussierst die Burst, das Brustbein oder den oberen Rücken und atmest langsam und tief ein. Das ist die einfachste Art. Durch die langsame Einatmung bekommst Du Energie.

Du kannst Du auch ganz langsam einatmend die Arme heben und die Brust weiten – und mit der Ausatmung die Arme senken. Das sind einfache Methoden, um Energie zu gewinnen.

Natürlich, im Yoga gibt es fortgeschrittenere Übungen. Zum Beispiel mit richtigem Kumbhaka, wo Du den Atem hältst und in die Energie in den Körperzentren hältst. Dadurch kannst Du auch mehr Kraft gewinnen. Diese Art der Übungen erkläre ich ausführlich im Buch.

Über den Geist und Körper hinaus – welche Rolle spielt der Atem für die spirituelle Entwicklung?

Es gibt immer eine Art von Abgrenzung. Das hier bin ich und das ist der Stuhl, auf dem ich sitze, oder das ist die Wand.

Aber wenn ich Luft nehme, die immer in mich rein und ausströmt, dann wird sie ein Teil von mir. Und mein Atem wird wieder ein Teil vom Außen. Die Trennung zwischen Außen und Innen verschwimmt.

Der Atem verbindet uns mit allem anderen Leben auf der Welt.

Der Atem lehrt uns eine fließende Verbindung mit dem Außen. Das ist besonders in unserer Zeit mit dem Verlust von einer Verbundenheit zur Natur, zum Menschen enorm wichtig. Ob Du einen Grashalm nimmst oder Bäume oder Tiere, wir atmen alle. Also sind wir verbunden. Oder 1000 Soldaten, die sich gegenüber stehen. Einfach durch die Tatsache, dass sie atmen, sind sie verbunden.

Wenn Du den Atem respektierst, respektierst Du das Leben.

Ich glaube, wenn Du den Atem respektierst, respektierst Du das Leben. Ich kann nur damit beginnen, meinen eigenen Atem zu respektieren. Dann lerne ich dadurch auch, andere atmende Lebewesen zu respektieren.

Warum hast Du Dich entschieden, das Buch zu schreiben?

Es ist nicht nur für mich persönlich ein wichtiges Thema. Ich denke auch, es ist wichtig für die Welt, für die Menschen, für die Zukunft.

Ich habe daran gedacht, wie die Welt zu einem schöneren Ort werden oder wie unsere Gesellschaft ein bisschen gesünder, herzlicher und liebevoller sein könnte. Und da denke ich, dass der Atem sehr viel vermitteln kann. Dass er für Menschen auch seelisch sehr viel öffnen kann.

Vielen Dank für das Interview!

 

Buch-Tipp: Das Geheimnis des Atmens

Die Atmung kann uns dabei helfen, unser körperliches und psychisches Befinden aktiv zu beeinflussen. Haben wir verstanden, wie unser Atem funktioniert, können wir ihn behutsam lenken – und so einen gesunden Weg zu Kraft und Selbstbewusstsein einschlagen. Wie Du Deinen Atem schulen kannst, erklärt Sriram leicht verständlich und lebensnah. Im Buch vermittelt er die Grundlagen der Atmung, praktische Übungen sowie spirituelle Betrachtungen.

Mehr Infos zum Buch

Tipp als Geschenkbuch: „Meine Momente zum Durchatmen“ von Anjali und R. Sriram

Mehr über R. Sriram

R. Sriram, geb. 1954 in Madras (Indien), ist einer der bekanntesten Yogalehrer im deutschsprachigen Raum. Er ist ein weltweit respektierter Vertreter der Tradition von T. K. V. Desikachar und T. Krishnamacharya, und seine Bücher sind viel beachtete Grundlagenwerke. Er ist Mit-Direktor des Aufforstungsprojekts BASE. Mehr Infos unter: www.sriram.de

Wir sind sehr dankbar, dass Sriram auch einige Videos über die Yogaphilosophie auf YogaMeHome beigesteuert hat. Schau mal rein:

Videos von Sriram

 

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Elena Patzer (Redaktion)

Elena ist Texterin und Yogini mit ganzem Herzen. Meist trifft man sie in Indien oder Südost-Asien, wo sie das gute Leben genießt, Yoga übt und immer gerade in mindestens einem Kurs über Yoga, Heilung oder Kunsthandwerk steckt. Seit August 2020 leitet sie unseren Blog und unterstützt uns auch in anderen Text-Belangen.

Mehr von Elena lest Ihr hier: elenayoga.de/

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