Wie findet man seinen Weg zwischen Spiritualität und “normalem Leben”? - Interview mit Gabrielo Caruso
von Elena Patzer (Redaktion) in Menschen und Inspiration

“Das war’s, ich geh ins Kloster.” Haben bestimmt viele schon mal gedacht. Gabrielo Caruso hat es getan. Doch wie kann man weltliches Leben und Spiritualität vereinen? Darüber haben wir im Interview gesprochen.

Damals noch Werbetexter in einer Top-Agentur, zog Gabrielo in ein buddhistisches Kloster. Heute ist er Berater im Zukunftsinstitut und Mindful-Pop-Sänger.

Wie kann man also seinen Weg finden, wenn beide Welten nach einem rufen - die weltliche und die spirituelle?

Im Interview sprechen wir darüber, wie Gabrielos Weg bis hierhin aussah. Dann schauen wir, was man tun kann, wenn das alte Leben nicht mehr passt - und wie ein spirituelles Leben in der heutigen Welt aussehen kann.

Aus der Werbeagentur zum Buddhismus

Lass uns noch mal zurückgehen zu diesen Kreuzungspunkt in deinem Leben. Was hat dich damals bewegt, ins Kloster zu ziehen?

Ich wollte nur aufhören mit der Werbung. Als ich mir so anschaute, wie ich gearbeitet habe, da habe ich mir gedacht, ich kann das nicht machen. Ich kann nicht den Leuten, die ohnehin schon genug Kartoffeln haben, noch mehr Kartoffeln zuschaufeln.

Das hat auch viel mit Leid und Krankheit zu tun. Ich hatte Panikattacken und burnout-ähnliche Zustände. Also der Drang kommt über Leid, das ist ja auch das Erste, was man im Buddhismus lernt: Das Tor zum Buddhismus ist die Erkenntnis des leidhaften Daseins. Das ist einfach eine Form von Orientierung, die fehlt.

Das mit dem Kloster war dann Zufall. Ich wollte eigentlich nur irgendwo hinfahren, wo es still ist. Dann bin ich im Kloster gelandet. Irgendwann hab ich mir ein buddhistisches Buch ausgeborgt, aber fand es viel zu nüchtern. Erst später habe ich den Zugang gefunden.

Ich wollte nur irgendwo hinfahren, wo es still ist. Der Rest war Zufall.

Du bist also von der Werbeagentur, dieser Welt von “höher, schneller, weiter”, ins Kloster gegangen - was das Gegenteil davon ist. 

Das würde ich so nicht sagen. Ich glaube, du musst auch im spirituellen Dasein sehr ehrgeizig sein, wenn du dich weiterentwickeln möchtest. Das “höher, schneller, weiter” hat sich nicht verändert. Jetzt geht es halt nicht um Objekte, sondern um “höher, schneller, weiter” in der geistigen Entwicklung. 

Das ist Arbeit. Also die Mönche, die stehen jeden Tag um fünf auf und beginnen zu beten. Das ist beinhart. Es ist eines der härtesten Leben, das ich gesehen hab. Du musst die ganze Zeit arbeiten, dich die ganze Zeit konzentrieren, das ist nicht einfach. Ich hab von Leuten gehört, die sind ins Kloster gegangen und haben Burnout bekommen.

Und was hast du dort gefunden, was dir geholfen hat?

Stille. Und Frieden. Die Leute lassen dich einfach in Ruhe. Sie sind in sich gekehrt, arbeiten an sich. Sie sind zwar streng, ehrgeizig und diszipliniert - aber zu sich selbst und nicht zu Gästen.

Keinen Druck von außen zu haben, kein Ergebnis erwartet zu bekommen. Einfach mich beruhigen zu können, Luft zu holen und und diesen Leuten zuzuschauen, wie sie das machen.

Wobei, ich habe da auch eine Sonderstellung gehabt als Gast. Ich war kein Novize - das ist dann wieder ein ganz anderes Leben.

Leben in zwei Welten

Du hast aber weiterhin in der Agentur gearbeitet. Wie war es für dich, zwischen diesen beiden Welten zu leben?

Wenn ich das Leuten erzähle, dann glauben die immer, dass es verrückt ist, weil es zwei unterschiedliche Welten sind. Aber für mich war es nicht so.

Darüber habe ich auch ein Lied geschrieben: Brücke zur Welt.

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Ich steh hier und ich steh dort. Zwischen Ufern, die sich gleichen. Zwischen Mönchen und den Reichen.

Ich wohne zwar im Kloster, aber wohnen kostet Geld. Und so lauf ich jeden Morgen über die Brücke zur Welt.

Aus: Brücke zur Welt

Ich hab bis heute einen Fuß in der Branche, bin jetzt im Zukunftsinstitut als Berater. Also ich glaub, ich hatte Glück, dass es sich verbindet. Dass ich eine Brücke bin.

Ich muss nicht trennen. Ich sitz zuhause und schreibe meine Lieder, beschäftige mich mit Religionswissenschaften und Themen, die mich interessieren. Und das wirft dann Know-how ab, das ich in meinem Beruf anwenden kann. Das ist kein entweder/oder, keine zwei Leben.

Und das klappt immer in Balance?

Ich halte mich schon fern von dieser “weltlichen” Welt, wenn es mir zu viel wird. Dann ziehe ich mich auch zurück.

Also, ich hab jetzt auch keine hohen Ansprüche oder Verpflichtungen. Ich hab keine Kinder, keine Versicherung, kein Auto. Das ist wahrscheinlich ein Großteil dessen, warum ich das machen kann.

Beruflich entwickelst du Visionen für Unternehmen. Hast du selbst für dich auch so eine Vision, nach der du dein Leben führst?

Ja, ich versuche schon, diesen buddhistischen Weg zu gehen. Also an sich zu arbeiten, sich zu entwickeln und Mitgefühl und Verständnis zu entwickeln.

Ich folge dem tibetischen Buddhismus, da gibt es diese Idee vom Erleuchtungs-Geist. Der besteht darin, zu analysieren, nachzudenken und versuchen, so viel wie möglich zu verstehen davon, wie Menschen sind und wie dieses Leben funktioniert. Und das versuche ich. So oft und viel wie möglich.

Was kann man tun, wenn das alte Leben nicht mehr passt?

Was würdest du Menschen raten, die unzufrieden sind oder spüren, dass sie nicht mehr in ihr altes Leben passen?

Das Wichtigste ist Nachdenken. Das haben mir so die Buddhisten beigebracht, einfach nachdenken. Und versuchen, dieses Wesen der Wirklichkeit zu verstehen.

Der erste wichtige Gedanke ist: Das ist einfach nur die Vergänglichkeit. Dass man sich das visualisiert, jeden Tag in jeder Situation - auch wenn dir jemand auf die Nerven geht. Sich einfach vorstellen, wie sich alles bewegt, wie alles vergänglich ist.

Damit löst man so gut wie jedes Problem. Wenn man einfach nur länger drüber nachdenkt.

Und der Zweite: wie tief alles zusammenhängt. Das ist endlose Tiefe.

Also es gibt zum Beispiel den Gedanken im Buddhismus, dass wir alle schon mal unsere Mütter und Väter waren. Wir waren alle schon unendlich oft auf dieser Erde. Und das bedeutet, ich war schon mal deine Mutter, du warst schon mal meine Mutter.

Wenn du dich über etwas ärgerst, nimm die größere Perspektive ein.

Und wenn du dich gerade über etwas ärgerst - beim Abwaschen oder du hast dich beim Sport verletzt oder irgendwas - und du denkst darüber nach. Dann überlegst du dir: Wie tief ging das jetzt? Dann ich nur empfehlen: Die größere Perspektive einzunehmen.

Hat das die Power, dass Leute ihr Leben verändern? Häufig ist es ja passiv: Mich stört etwas, aber ich halte es aus, denn es geht ja vorbei. Hat es auch einen Moment der Veränderung, in dem man aktiv wird?

Ich würde sagen, die Tatsache, dass ich darüber nachdenke, ist aktiv sein.

Also wenn du diesen Erleuchtungs-Geist oder das Vergrößern von Erkenntnis, wenn du das als höchstmögliche Aktivität siehst, kannst du da sitzen und nichts machen. Und indem du versuchst zu analysieren, bist doch hoch aktiv. Dieses Eingreifen und Verändern ist dann eher eine weltliche Sicht. 

Ich finde, es ist Geduld. Und Geduld ist extrem anstrengend. Geduld heißt, sich selbst zu erklären, dass man jetzt nicht eingreift. Es ist viel anstrengender, geduldig zu sein, als irgendwo einzugreifen. Eingreifen ist einfacher, und so gesehen weniger aktiv.

Spiritualität mit weltlichem Leben verbinden

Wie verbindest du dieses buddhistische Denken dann mit deinem weltlichen Leben?

Rein theoretisch kannst du alles machen. Nur mit der richtigen Einstellung.

Du kannst reisen, du kannst Geld verdienen, du kannst jeden Tag in die Werbeagentur gehen und eine Million verdienen - wenn die Einstellung stimmt. Die Million gehört nicht dir und sollte nicht dein Selbstverständnis bestimmen. Besser wär’s, wenn du sie dann spendest. Wenn du zum Beispiel daran denkst, dass du beim Millionenverdienen auch nur Leuten hilfst, den Leuten, die im Prozess beteiligt sind, ihre Familien und Kinder zu versorgen. Dann hast du keine schlechte Motivation.

Und das ist das Wichtigste: aus keiner schlechten Motivation heraus zu handeln. 

Also nicht handeln, um irgendjemandem Leid zuzufügen. Sobald du versuchst, deine positive Motivation zu leben und Leid zu verringern, tust du automatisch das Richtige -  dann ist das ein buddhistischer Weg.

Wenn du nach einer positiven Motivation lebst, tust du automatisch das Richtige.

Also ist es fast egal, was du tust - die Intention dahinter ist das, worauf es ankommt.

Ja, wenn du die Sache mit der Motivation wirklich ernst nimmst, dann ergibt sich das Ergebnis, dass du am Ende etwas Gutes tust. 

Also, das ist einfach sehr schlau. Die Buddhisten haben das so gut durchdacht, dass sie genau wissen, wo sie mit einem Gedanken beginnen, um den Dominoeffekt auszulösen. Wenn du etwas Gutes willst, dann kannst du nicht dieses unglückliche Leben führen.

Selbst in der Werbeagentur: Ich habe mir vorgestellt, als ich in die Agentur gefahren bin, dass ich in Wahrheit doch nur den Kindern der Chefs helfen möchte, und habe versucht, diese Kinder zu visualisieren. Das funktioniert schon, aber irgendwann denkst du: Es gibt auch andere Jobs, wo ich nicht so viel tun muss, um mir das gedanklich zurechtzurücken.

Also folge ich einfach meinen Werten und so wird sich das “Außen” durch Leidensdruck und Suche nach etwas anderem über die Zeit automatisch entwickeln?

Das hat wieder dieses höher, schneller, weiter. Das funktioniert auch dort: Wenn du dir dieses Ziel setzt und dich weiterentwickeln möchtest, dann willst du immer noch um eins besser werden.

Zum Beispiel, wenn du deine Ernährung umstellst. Dann beginnst du vielleicht mit weniger Zucker, weniger Fleisch, später möchtest du komplett auf Fleisch verzichten. Das geht immer weiter. 

Und auf dem spirituellen Weg ist es dasselbe. Es geht auf dem Weg immer eine Stufe weiter.

 

Danke für das Gespräch, Gabrielo!

Mehr über Gabrielo Caruso

Gabrielo Caruso arbeitet freiberuflich in der Zukunftsforschung, verbringt seine Zeit aber am liebsten mit dem Unsagbaren an der Gitarre. Ursprünglich Werbetexter, warf er den Hut auf seine Karriere und ist seitdem entweder im Wald, im Home-Studio oder im buddhistischen Kloster. Mit “Mindful Pop” gelang ihm der Durchbruch als Musiker.

Website: www.mindfulpop.at

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Elena Patzer (Redaktion)

Elena füllt als Redaktionsleitung das bunte Leben von YogaMeHome. Sie ist Yogini mit ganzem Herzen und bereits seit 10 Jahren regelmäßig auf der Matte. Oft trifft man sie in Südost-Asien und der ganzen Welt, wo sie ihr Wissen über Yoga, Heilung und Spiritualität vertieft.

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